Reinhäuter
Ich bevorzuge ein sehr scharfes Rasiermesser, wenn ich ein Zeichen setze und Menschen erlöse. Mit dreizehn ritzte ich mir so tief in meinen Arm, bis ich den Knochen sehen konnte. Blut floss und ich fühlte mich gut, ich fühlte mich so rein. Meine Haut ist rein, meine Gedanken. So ist es, wenn alles gut ist.
Von meinem Großvater erhielt ich zu meinem elften Geburtstag das rostfreie Rasiermesser aus Solingen. «Soll gelingen», klingelte es in meinen Ohren. Mit zwölf Jahren kamen die ersten Bartstoppeln. Wie ich es hasste. Aber das Rasiermesser war so perfekt und die tägliche Rasur damit eine große Lust. Einige Monate später schon wusste ich, was mir noch mehr gefallen könnte.
Ralph, ein Mitschüler, empfahl mir damals, doch einfach auf ein Kissen einzuprügeln, anstatt mir selbst weh zu tun. Beim Duschen nach dem Sport ritzte ich ihn mit einer Rasierklinge in den Arsch. Er sprach nie wieder mit mir.
Diana, eine Kommilitonin, fragte mich am Anfang unseres Medizinstudiums, ob ich denn noch recht bei Trost sei, all die Wunden. Am nächsten Tag gingen wir zu ihr. Ich schnitt ihr eine Warze aus der Fußsohle und brachte ihr den Umgang mit dem Rasiermesser bei. Einen Monat später erlöste sie sich selbst mit genau so einer Rasierklinge.
Sven, ein Kollege riet mir, einen Psychologen aufzusuchen, dann würde es mir sicherlich bald besser gehen. Ich lud ihn zur mir nach Hause ein — Whisky trinken satt. Wir tranken einige meiner besten Whiskys. Schließlich träufelte ich die K.O. Tropfen in den Yamazaki. Ich wollte ihm eigentlich nur einen Denkzettel verpassen und ihm später erzählen, er habe sich im Suff auch geritzt. Sein T-Shirt verrutschte als er auf den Boden fiel und ich sah sein Bauchpiercing. Ein großer goldener Ring mitten im Bauchnabel. Mir wurde sofort übel. Wie konnte man so etwas Vulgäres an seine Haut lassen. Ich starrte auf seinen glatten Bauch und den Ring, der ihn verunstaltete. Plötzlich fühlte ich mich sehr gut, wusste, was zu tun war. Ich zog den Ring ein wenig nach oben, drehte ihn und ritzte unterhalb des Rings die Haut ein wenig mit meinem frisch geschärften Rasiermesser an. Dann rieb ich frischen Taubenkot, den ich vor meinem Fenster fand, in den winzigen, offenen Spalt. Mit Sprühpflaster verschloss ich die Wunde. Sven starb drei Wochen später an Sepsis.
Thriller ist in Arbeit – Auszug aus dem Roman